Damals, im Sommer 1995 als Srebrenica fiel, war es unglaublich heiß. Ich lernte Sara kennen, nachdem sie in die nächstgelegene Stadt geflohen war, nach Tuzla. Dort bekam sie einen Platz in unserem Therapiezentrum und war endlich sicher. Davor muss sie Schreckliches erlebt haben.
Sara war sehr jung, vielleicht 21 Jahre alt, hatte aber bereits einen 5-jährigen Sohn und eine 2 Monate alte Tochter. Sie stammt aus Srebrenica, wo ihr Mann den Gräueltaten des Krieges zum Opfer gefallen war.
Und dann kam der Moment, an den sie sich später nicht erinnern kann, weil sie ohnmächtig wurde. Ein Mann kam in ihr Zelt und hinterher war da viel Blut, ihr Blut und ihre weinenden Kinder.
In unserem Therapiezentrum konnten wir sie auffangen, ihr und ihren Kindern ein Zuhause geben, sie unterstützen und ihr einen neuen Alltag ermöglichen. Ihr kleiner Sohn half, wo er konnte. Aber ihre Tochter schrie und schrie. Saras Nerven hielten das kaum aus.
In Bosnien wurden während des Krieges mindestens 25.000 Frauen vergewaltigt, in Privathäusern, in Lagern, z.T. über Monate, von einzelnen Männern oder von Gruppen.
Vergewaltigung im Krieg ist nicht neu. Im 1. Und 2. Weltkrieg wurden Frauen von allen Seiten vergewaltigt, im Vietnamkrieg Vietnamesinnen durch französische und US-amerikanische Soldaten. In aktuellen Kriegen und bewaffneten Konflikten findet sexualisierte Kriegsgewalt u.a. in Syrien, im Ost-Kongo, Sierra Leone, im Irak und in Nigeria statt.
Insbesondere die psychischen Folgen können für die Frauen lebenslang andauern und über Generationen weitergegeben werden. Vergewaltigungen von Frauen treffen immer auch die Familie und darüber hinaus das gesamte gesellschaftliche Gefüge.
Sexualisierte Kriegsgewalt ist Ausdruck von Macht, dient dem Terror und der Vertreibung der Zivilbevölkerung. Die sexuelle Versklavung von Frauen dient auch der Belohnung der Soldaten und der Einhaltung der Kampfmoral. Letzteres gab es auch im 2. Weltkrieg. Nachdem japanische Soldaten in Nanjing ein Massaker angerichtet hatten, zwang die japanische Armee ca. 200.000 Frauen aus besetzten Gebieten in Bordelle, sogenannte „Comfort Stations“. Im Vietnamkrieg förderte die US-Armee die Einrichtung von Bordellen für ihre Soldaten im Hinblick auf „Rest and Recreation“.
Die Bereitschaft zur Gewalt wird im Krieg gefordert. Angst und Unsicherheit lassen sich über (Männer-)Bündnisse verleugnen, in Konkurrenz zum anderen gar die eigene Männlichkeit beweisen. Diesem dürften auch Gruppenvergewaltigungen dienen, beides bei „Duldung von oben“ der Festigung von Hierarchien und dem Respekt nach oben.
Sexualisierte Gewalt ist aber nicht nur im Hinblick auf ein mögliches Erreichen von Kriegszielen zu betrachten. Sie findet in Nachkriegsgesellschaften im Rahmen von Machtkämpfen durch rivalisierende Parteien in noch unsicheren politischen Strukturen statt; durch Peacekeeper im Rahmen von Friedensmissionen; vor und während der Flucht durch Schlepper; nach Ankunft in Europa in Flüchtlingsunterkünften durch männliche Mitbewohner, Sicherheitskräfte oder auch durch Betreuer; in Familien und in unserer aller Alltag.
Und dies findet nicht nur in der Ferne statt. Laut einer Studie der EU im Jahre 2015 hat jede dritte Frau in der EU körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt.
Sexualisierte Gewalt ist vor dem Hintergrund von alltäglicher Diskriminierung, Verfolgung, Verachtung von und Ächtung von Frauen und somit im Kontext von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen – insbesondere in patriarchalen Gesellschaften – zu betrachten.
Noch heute ist Sara ins Netz unserer Hilfsorganisation eingebunden. Sie nimmt an unserem Agrarprojekt teil, pflanzt Aronia und andere Heilpflanzen an und vertreibt sie über das Grüne Netz, die von uns gegründete Agrargenossenschaft.
Kontinuierliche Arbeit zahlt sich einfach aus. Wir haben das Vertrauen, das Sara uns über all die Jahre entgegengebracht hat, nie enttäuscht. Und wir werden auch weiterhin für sie da sein.
Cornelia Suhan, Mitbegründerin und 1. Vorsitzende von Vive Žene, reist regelmäßig nach Bosnien und Herzegowina und pflegt vertrauensvolle Beziehungen zu vielen Frauen vor Ort.
Hier haben wir ein Zuhause gefunden.
Eine Familiengeschichte aus Tuzla (Bosnien und Herzegowina)
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